schneider [Einschulungsfeier 1951 - 2011]

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Tot oder lebendig?

Ja, man kann es übertreiben — nach beiden Seiten. „Heißkäserich” für Cheeseburger, von hartnäckigen Eindeutschern vorgeschlagen,
ist kaum empfehlenswert; „Plattenwerfer” für Disc Jockey klingt hübscher und hätte wohl trotzdem keine Chance;
und wer den Bowdenzug durch „Zugkraftdraht” ersetzen wollte; hätte einen Dreisilber geprägt, der es an phonetischem Charme mit der
„Nasshaftkraft” der Gebisswerbung aufnimmt.
Doch man kann es auch treiben wie die allzu vielen Möchtegern-Amerikaner unter uns: die Wis­senschaftler, die in der Physik siebenmal
mehr als im Englischen zu Hause sind, die kalifornisch la­ckierten, auf Imponierjargon gebürsteten Werbetexter,
Marketing Consultants, Manager- und Vor­standsassistenten.
Zwischen diesen beiden Abgründen bleibt nur das, was allen Rechthabern und Besessene zutiefst zuwider ist: der Mittelweg — praktische
Importe umarmen, lächerliche verscheuchen. Und sich ein Organ dafür bewahren, was der Mensch an seiner Sprache
hat. Die großen Sprachen — die deutsche ist eine da­von — sind das Weltkulturerbe schlechthin. Millio­nen haben sie jahrtausendelang
zu ihrer heutigen Höhe aufgeschichtet, mit viel mehr Aufwand und viel mehr Kunst, als an die gotischen Kathedra­len oder
an die Pyramiden gewendet worden ist; und nun sind alle Erfahrungen und alle Erinne­rungen, aller Geist und Witz, alle Leidenschaften,
alle Träume, alle Illusionen und Visionen von uns und unseren Ahnen in ihnen gespeichert und zur frischen Nutzung frei.
Eine große Sprache — wenn sie noch dazu die Muttersprache ist — zu vernachlässigen, sie zu be­schädigen, sie gar preiszugeben, ist eine
Dummheit und eine Sünde. „Es wäre eine nützliche, segens­reiche Aufgabe”, sagt der Betriebslinguist Reiner Pogarell,
„unsere Sprache in den Kreis der schützenswerten Kulturgüter aufzunehmen.” -
Die Zukunft des Deutschen zu formen — dazu habe jeder Einzelne die Macht, schrieb Jens Jessen in der Zeit. „Das unterscheidet marodes Deutsch
von einem maroden Kernkraftwerk, das nur Ex­perten reparieren können. Das Deutsche wird nicht sterben,
es sei denn, die Deutschen wollen es. Es sei denn, sie kapitulieren vor der Werbung, vor der Geschäftssprache, vor dem kollektiven Hass auf
alles Komplizierte, den die Medien nähren. Aber selbst wenn das Deutsche stürbe — es würde als tote Sprache
weiterleben, als eine Art Griechisch oder Latein der Neuzeit. Die Zahl kanonischer Au­toren, von Philosophen wie Dichtern, wird den Gelehrten
das Deutsche immer attraktiv erhalten. Das ist vielleicht kein Trost — aber ein Gedankenspiel, das uns Heutigen
Respekt vor der achtlos malträtierten Umgangssprache einflößen sollte.”
Falls wir aber Schluss machen mit dem Malt­rätieren, falls wir nicht kapitulieren, falls wir uns auch nur ein Drittel jenes Stolzes auf unsere
Sprache gönnen, wie die Franzosen ihn ganz selbstver­ständlich zelebrieren —dann sind die Chancen, dass das Deut-
sche weiterlebt, nicht schlecht.
Quelle: Schneider, Wolf. Speak German! Warum Deutsch manchmal besser ist. Rowohlt Verlag.